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Kaufdorf Cowboy

RESTAURANT «BAHNHOF» • Der Beizer Nikos Nikolakopoulos hat das Dorf zurück ins Restaurant gebracht. Die Geschichte eines Griechen, der geradeaus auf Umwege geriet. Und dem die Mutter einst notfallmässig das Kochen beibringen musste.



Im Chabisland wird nichts als die Wahrheit aufgetischt. Oder Wahrheiten. Auch im Fall von Nikos Nikolakopoulos hat sich das Verschwinden aus dem Heimatland nämlich beim Zigarettenkau-fen zugetragen: «Ich bin nur kurz fort», hat er zu seiner Mutter gemeint und ist weggeblieben. Wie in einem Film, den alle gesehen haben, von dem aber niemand mehr genau den Titel kennt.

Wie die Geschichten vom Freund eines Freundes aus der Rekrutenschule. Wahr oder doch wahr geworden, jedenfalls: «Dann stand ich vor 14 Kuh-Ärschen», sagt er, und lacht. Ein Schock sei das gewesen für einen, der aus der Fünf Millionen Siedlung Athen plötzlich im Gürbetal gelandet ist, um neben der Arbeit in der Garage etwa auch noch zum Vieh des Schwiegervaters zu schau-en. Das ist über 30 Jahre her. Heute ist Nikolakopoulos 59 und Wirt. In Kaufdorf, am Nullpunkt zwischen Bern und Thun, wo das Pfaffenloch im Belpberg jedes Hausdach im Blick hat: ein bisschen Industrie, die Überreste eines berühmten Autofriedhofs, die Kläranlage, weitum Weisskohllandwirtschaft, zwei Beizen, von der eine halbwegs läuft.


Immer im Sturm

Im alten Restaurant Bahnhof an der Ecke ist es nachmittags ruhig, ein paar aufgeweckte Pensionistinnen sitzen beim Kaffee Crème und haben nichts zu befürchten. Chrigu poliert Gläser. Leute wie ihn nennt man gemeinhin gute Seele, ausgezeichnet schweigsam, tüchtig, treu. Ohne sie läuft nichts, das weiss auch Nikos Nikolakopoulos. Er hält zwei Päckli Marlboro Gold fest. Oben in der Stube der Beiz hängen Flaggen am Täfer, das hellenische und das Schweizerkreuz, gegenüber steht «I can't keep calm, I'm Greek malaka!», über dem Türrahmen - «ich kann nicht ruhig bleiben, ich bin Grieche, du Idiot», heisst das ungefähr und genauso erzählt sich Nikolakopoulos ohne Anlauf und Absatz und kraft eines beeindruckenden Repertoires von Fluchwörtern durch seine Autobiografie, erzählt von zugeschlagenen Türen und denen, die sich aufgetan haben, wie sie sich nur einem Optimisten anbieten, der lieber vorwärtsschaut als zurück. Nikolakopoulos spricht dabei ein manchmal liebliches, oft derbes und ein bisschen aus der Zeit gefallenes Berndeutsch - Gassendialekt, in einen Kanister Oliven-Öl getränkt, über Teer gezogen und zum Trocknen in die Voralpenluft gehängt.

Zwischen zwei Pointen rattern manchmal wie von einem Töfflimotor ausgespuckte Lautketten, unmissverständlich und unverständlich zugleich, Teile der eigenen Grammatik dieses bern-deutschen Griechen im Gürbetal. Immer hiess es: der «Griech, der Griech», sagt Nikolakopoulos, der überall für Aufregung gesorgt, wo es ihn hingetrieben hat. In unzähligen Temporär-jobs, die ihm Freunde und Feinde fürs Leben beschert haben und die lackierte Lunge. Im FC bei Dürrenast und später bei Thun, immer im Sturm. In den eigenen Beizen und Etablissements und denen der anderen, zum Beispiel der Broncos mit den Lederjacken und ihren Prinzipien, in der Matte, im Bälliz.

Dass er nie auf der faulen Haut gelegen habe, darauf ist er stolz, kein einfacher Büezer zu sein, sondern ein guter. Keine «Badehose, die nicht einmal geradeaus laufen kann».


13 Punkte und 20 Millionen

Geradeaus wäre auch das falsche Wort für Nikos Nikolakopoulos' Lebensweg. Vom Spengler zum Automechaniker zum Beizer, das wäre die Abkür-zung. Wie das eine zum andern geführt hat, es bleibt ein vom Chef persönlich verwalteter Mythos. Chrigu bringt die

1 Fotos an den Tisch: Nikolakopoulos in unternehmerischer Gesellschaft, Anzug und Krawatte, im Hintergrund die südkoreanische Landesflagge. Damals, als er beinahe diesen berüchtigten 20-Millionen-Deal unterschrieben hätte, es ging um ein GPS-System für den Logis-tik- und Speditionsbetrieb, das grosse Geld. Nicht verwunderlich, dass Nikola-kopoulos auch da mitzureden hatte. Ein schwerreicher Mann ist er schliesslich doch nicht geworden. «Am Ende, wenn dich Gott nicht will und der Teufel keinen Platz mehr frei hat, dann kannst du sowieso nichts mitnehmen. Der Materialismus der Leute ist ein Riesenproblem», sagt er. Wenn einer in sein Restaurant komme und nicht bezahlen könne, dann bekomme der trotzdem was zu essen, dann schaue man eben später.

Als Nikolakopoulos 2004 in die Gastronomie einstieg, konnte er gar nicht ko-chen. Er sei in seine Lieblingsbeiz gefah-ren, das «Santorini» in der Berner Matte, wo ihm die Wirtin eröffnete, dass sie das Restaurant verkaufen wolle. Nikolakopoulos zögerte nicht und kam eine Woche später mit einem Koffer voll Bargeld zurück. Auf einmal hatte er ein Restaurant: Er rief seine Mutter in Griechenland an, damit,sie in die Schweiz komme und ihm die griechische Küche beibringe, «die richtige». Sie kam fluchend, und das Santorini lief gut, die Reichen und Einflussreichen seien auch gekommen, der alte Hayek und die hohen Beamten.

Gault-Millau habe 13 Punkte vergeben und die Gewerbepolizei Bussen wegen unangemeldeter Gartentische. Es war die Zeit, als sich das laute Leben, die Clubs und Bars aus der Matte zurückziehen mussten, als sich Architekturbüros und Designateliers einmieteten; entgegen der historischen Bedeutung als Armenquartier liessen sich die Wohlhabenden im Schatten der Berner Altstadt nieder. Nach zehn Jahren gingen auch im «Santorini» die Lichter aus.


Irgendeiner muss es ja machen

Die zum Längenberg gerichtete Terrasse des Restaurants «Bahnhof» in Kaufdorf wird von einer lieben Feierabendsonne angeleuchtet. Chrigu macht eine Pause, Aurelia sitzt bei einem Glas Weiss-wein. Die Freundin des Beizers, deren Tochter durch das Obergeschoss des Restaurants steuert wie eine kleine Königin, zwischen Töggelikasten, Darts und Sääli in ihrer anarchischen Landschaft aus Kinder- und Bubenspielzeug. Aurelia hat eine ähnlich beruhigte Ausstrahlung wie Chrigu. Es scheint, als gruppiere sich die Ruhe um den Griechen Nikolakopoulos, der nicht stillhalten kann. Er wedelt mit den Armen nach der Pergola. Die Wiedergängerin der blauen Rauchertischlein, die damals das «Santorini» mit einem schiefen Schluss-ton in die Quartiergeschichte der Matte verdonnert haben. Erst kürzlich hat er die Pergola errichtet, jetzt muss sie abgebrochen werden, diktiert die Kläranlage ARA der Gemeinde, der Abstand zum Flussufer sei nicht ausreichend. Heuchelei, meint Nikolakopoulos, anderen rücke man wegen ihren Einrichtungen am Bach auch nicht auf die Pelle, er fuchtelt einmal über die Strasse. «In der Schweiz gibt es keine Korruption, da heisst es ein fach: Man kennt sich. Ihr habt vergessen, wo die Demokratie herkommt», sagt er. Es ist eine freiheitliche Abscheu vor dem Normalen, vor den Regeln des Staates, vor den haushälterischen Zwängen des Lebens in der Schweiz, die den Griechen umtreibt und ihn nicht nur mit den Behörden kollidieren lässt. «Irgendeiner muss es ja machen», scheint er sich zu sagen, wie ein Cowboy zwischen den Städten auf der schwierigen Suche nach einem Ort, wo es für einen wie ihn nicht zu eng wird, «ich war schon immer ein Vogel».


Die Mutter und der Teufel

Das Bild, wie es Nikolakopoulos von sich selbst und der Welt zeichnet, es lebt in den Widersprüchen. Etwa in der Art, über Macht und Geld zu sprechen, als Nebensächlichkeiten taxiert scheinen sie doch immer wieder im Zentrum des Begehrens auf. Oder was ihm die Grosszügigkeit bedeutet, während Gewaltfantasien und Anekdoten von Knochenbrüchen, mutwillig in Häuser gelenkte Autos und Drohgesten die Erzählungen ins Groteske kippen lassen.

Wie Liebe und Loyalität über allem stehen und wie die Türen hinter ihm doch zuschlagen. Wie er die Mutter vergöttert und die Frauen verteufelt, dann die Frauen vergöttert und die Mutter verteufelt. «Ich habe vieles richtig gemacht, aber ich habe auch Scheisse gebaut. Aber ich war immer ehrlich. Ich habe immer gesagt, was ich denke. Das Wichtigste im Leben: Dass du eine Linie hast und Freude, ein bisschen Freude im Leben, ein Fest feiern kannst warum sind wir sonst da?»

In Kaufdorf kümmert sich sonst niemand um das Fest. Die Jungen kommen zum Töggelen und Rauchen, manche kommen von auswärts, wenn er zu besonderen Anlässen die im Tagesbetrieb solide Landküchen-Speisekarte auf Griechisch stellt und die Flammen etwas höher schiessen. Auch den Frau-enverein und den Fussballclub hat er zurück in die Stube geholt, seit er das «Bahnhöfli» übernommen hat. Die Pensionistinnen beim Kaffee: Sein persönlicher Fanclub, auch sie lieben ihren Beizer mit den Ecken und Kanten, Sprüchen und Macken. Dass überhaupt noch iemand die Beiz führt, es ist ein Glück für das Dorf mit den 1000 Einwohnenden. «Sofort hast du Neider, wenn dir etwas gelingt», weiss Nikolakopoulos. Da steckt auch eine unangenehme Wahrheit über die migrantische Schweiz und ihr Völklein drin, das von Menschen ohne Schweizer Pass höchste Leistungen erwartet, jene aber kaum duldet, die sich dabei in den Vordergrund rücken.

Die grosse Ideen haben, starke Meinungen, sich auf ihrem Weg ein Charisma antrainieren mussten, die auf dem Fussballplatz mit einem satten Schuss und am grossen Tisch mit einer lauten Stimme brillieren können. Und dabei erledigen, worauf der Schweizer Mittelstand längst keine Lust mehr hat: Toiletten putzen, Lastwagen rumfahren, eine unspektakuläre Landbeiz führen. «Noch ein paar Jahre, dann gehe ich in Pension. Ich will zurück nach Griechenland, da habe ich mehr vom Leben», sagt Nikos Nikolakopoulos. Dort, wo statt Sauerkraut pfundschwere Zitronen aus dem Biden wachsen.

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